Reformierte Kirche Bühler

Freitag, 23.11.2018

Zum Ewigkeitssonntag

Neulich als Oma gestorben war

Meine Oma war die erste Tote, die ich gesehen habe. Ich war damals 26 Jahre alt. Und Omas Tod war der erste Tod, den ich bewusst miterlebt habe. Ich war nicht bei ihr, als sie starb. Ihr letztes Jahr hat sie im Pflegeheim verbracht. Irgendwann klingelte das Telefon.

Ich habe sie erst gesehen, als sie schon aufgebahrt in der Kapelle des Altenheims lag. Ihr Blick war gebrochen. Die Augen und der Mund weit geöffnet. Sie sah sehr fremd aus, damals. Ich habe sie kaum erkannt. Irgendwas war anders als sonst. Irgendwas fehlte. Das, was Oma zu Oma machte, war nicht mehr da. Da lag nur noch ein Schatten ihrer selbst.

In meiner Erinnerung war sie ganz anders. Da sass sie in ihrem Sessel, der fast so alt war wie sie selbst, und sang die alten Kirchenlieder. Ich kann nicht „Lobe den Herrn“ singen, ohne an sie zu denken: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“ Das hat sie erlebt in ihrem langen Leben.

Oma ist 100 Jahre alt geworden. Dann darf man sterben, dachte ich damals. Das ist eine grosse Spanne Zeit, die ihr gegeben war. Und doch habe ich bei ihrer Abdankung geheult wie ein Schlosshund. Abschied nehmen gehört nicht zu meinen Stärken.

Durch all die Abdankungen, bei denen ich seitdem war, trägt mich die Hoffnung, dass ich mit dem Tod lieber Menschen nicht nur leben muss, sondern auch leben kann. Der Tod wird - bei allem Schmerz - erträglicher, weil ich darauf vertraue, dass unsere Toten nicht einfach weg sind, sondern nur vorausgegangen. Mir gefällt das Bild, dass wir im Sterben von Gottes einer in seine andere Hand wechseln. Zugegeben, das klingt pathetisch. Aber so sind unsere Hoffnungsbilder. Sie halten der Logik unserer Welt nicht stand. Aber mich trägt die Gewissheit, dass wir in Gott aufgehoben sind. Dass in Gott niemand verloren geht. Dass wir in Gott verbunden bleiben.

Mir ist noch ein anderen Bild lieb geworden. Jesus vergleicht das Sterben im Johannesevangelium (Kapitel 14, 1-7) mit einem Umzug. Und er ist uns schon voraus gegangen, um uns eine Wohnung in Gottes Haus zu bereiten. Und eines Tages wird Jesus kommen und uns zu sich holen. Er nimmt dann das mit, was bei meiner Oma nicht mehr da war, als ich sie als Tote gesehen habe.

Lars Syring

Pfarrer in Bühler