Reformierte Kirche Bühler

Freitag, 21.09.2018

Morgen an der Viehschau

Morgen kommen die Kühe endlich wieder ins Dorf. Archaische Klänge tönen durch das Rotbachtal. Schellen soweit das Ohr hört. Was kann es schöneres geben? Unbestritten einer der Höhepunkte des Jahres.

Die Kühe und vereinzelte Stiere werden auf der liebvevoll geschmückten Viehschauwiese sortiert und festgemacht. Und dann geht der Preisrichter durch die Reihen und begutachtet, was vor Augen ist. Jedoch nicht vor aller Augen. Ich sehe zwar auch die Kühe und finde die eine vielleicht sympathischer als die andere. Aber ich habe den Eindruck, dass der Preisrichter andere Massstäbe anlegt als ich. Er begutachtet die Beckenbreite, den Rahmen, Aufhängung und Tiefe des Euters, die Zitzenverteilung und -stellung sowie das Fundament. Das sind Kriterien, die für meine Kuhfotos ohne Relevanz sind. Da interessiert mich eher, wie eine Kuh guckt. Ob sie schöne Hörner hat. Für unsere Bauern sind meine Massstäbe vermutlich ebenso irrelevant. Ihnen sind die objektiven Fakten, die der Preisrichter beurteilt, wichtig. Und der Stolz ist ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn eine ihrer Kühe einen Preis mit nach Hause nehmen kann.

Ich finde diese unterschiedlichen Kriterien spannend. Was dem einen gefällt, ist für den anderen nicht weiter beachtenswert. Ganz ähnlich ist es doch, wenn wir uns verlieben. Das können andere vielleicht nicht immer nachvollziehen. „Wieso ausgerechnet der/die?“ Manchmal sind es ja auch gerade die Unvollkommenheiten, die uns so aneinander faszinieren. „Jedes Mädchen kann das schönste sein, für dich allein“, sangen Cream 21 damals.

Warum auch nicht? Wäre ja schlimm, wenn sich alle Frauen in denselben Mann verlieben würden. Die Vielfalt ist es, die das Besondere ausmacht. Weil wir aus der Summe aller Möglichkeiten den Einen/die Eine finden können. Und noch schöner ist es, wenn unsere Liebe auch Resonanz auslöst und erwidert wird. Dann kann es gelegentlich sogar zu einer Hochzeit kommen.

Und genau deshalb kann ich morgen leider nicht zur Viehschau kommen. Ich bin für eine Hochzeit gebucht und muss früh losfahren. Zwei Menschen haben sich gefunden und lieben sich. Sie wollen ihren Weg gemeinsam weitergehen. Das ist schön.

Und Viehschau und Hochzeit liegen sowieso nah beieinander. Es gibt etwas, das beides verbindet. Denn bei allem vielleicht das Wichtigste ist ein anderer Blick, der noch dazu kommt. Der Blick Gottes. Die Liebe, mit der er seine Geschöpfe ansieht. Dieser Blick verleiht uns Menschen genauso wie den Kühen eine eigene Würde. Denn Gott bewertet uns nicht nach objektiven Massstäben sondern subjektiv als Liebender. Mit seiner Liebe zieht er uns ins Leben, traut uns das Leben zu. Sein Blick macht uns schön. Auch wenn wir kein Topmodel sind und ohne Preis von der Viehschau nach Hause gehen.

Lars Syring